Göttingen - Autismus gehört zu den häufigsten Entwicklungsstörungen des menschlichen Gehirns. Nun haben Forscher des Max-Planck-Instituts für experimentelle Medizin in Göttingen http://www.em.mpg.de ein Mausmodell entwickelt, mit dem sie die Entwicklung neuer Autismus-Therapien erheblich beschleunigen können. Die genetisch veränderten Mäuse zeigen selektive Störungen im Kommunikations- und Sozialverhalten, die den Symptomen von Autismus sehr ähnlich sind, berichten die Forscher in der jüngsten Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Proceedings of the National Academy of Sciences PNAS http://www.pnas.org .
"Der Begriff Autismus umfasst eine ganze Gruppe von Erkrankungen. In der Zwischenzeit geht die Forschung davon aus, dass Autismus wesentlich auf genetische Ursachen zurückzuführen ist. Nachweise dafür brachten Studien an eineiigen Zwillingen", so Studienautor Nils Brose, Direktor am Max-Planck-Institut für experimentelle Medizin, gegenüber pressetext. Darüber hinaus zeigen neueste Erkenntnisse, dass Autismus in etwa ein bis drei Prozent aller Fälle sogar durch die Mutation eines einzigen Gens hervorgerufen werden kann. "Bei den meisten dieser monogen erblichen Autismus-Formen ist das Neuroligin-4-Gen mutiert", erklärt der Wissenschaftler. Das Neuroligin-4-Gen ist für die Produktion eines Proteins verantwortlich, das die Signalübertragung zwischen Nervenzellen reguliert.
Zusammen mit der Neurologin und Psychiaterin Hannelore Ehrenreich und der Verhaltensforscherin Julia Fischer vom Deutschen Primatenzentrum in Göttingen hat der Neurobiologe eigens erzeugte genetisch veränderte Mäuse, die kein funktionierendes Neuroligin-4-Gen mehr haben, untersucht. "Im Gegensatz zu ihren normalen Geschwistern zeigen Mäuse mit der Neuroligin-4-Mutation kein besonderes Interesse für ihre Artgenossen. Außerdem kommunizieren sie weniger mit anderen Mäusen", erklärt Brose. Gesunde Mäuse tauschen sich mittels Ultraschall-Rufen untereinander aus, etwa wenn ein Männchen auf ein brünstiges Weibchen trifft. "Auch diese Art der Kommunikation ist bei Neuroligin-4-mutanten Mäusen erheblich gestört."
Brose geht nicht davon aus, dass Autismus einzig und allein auf die Neuroligin-4-Gen-Mutation zurückzuführen ist. "Es gibt viele Hinweise, dass auch noch eine Reihe anderer Gene dabei eine Rolle spielen", erklärt Brose. In der Autismus-Forschung werden von den Epidemiologen in der Zwischenzeit zwei Ursachen - nämlich jene der gefühlskalten Mütter und jene der Impfzusätze bei der Masern-Röteln-Mumps-Impfung - ausgeschlossen. Die Wissenschaftler unterscheiden derzeit zwei Hauptformen des Autismus. Den so genannten Low-Functioning-Autismus oder Kanner-Typ und den High-Functioning-Autismus oder Asperger-Typ. Das Kanner-Syndrom äußert sich durch eine eingeschränkte Sprachentwicklung, das Asperger-Syndrom hingegen durch eine zum Teil hohe Begabung und normale Sprachentwicklung. In beiden Formen sind die für Autismus typischen Störungen im Sozialverhalten zu beobachten. "Der Wissenschaft sind Fälle bekannt, in denen bei einem Brüderpaar mit derselben Mutation einer am Asperger-Syndrom, der andere am Kanner-Syndrom leidet", führt der Experte aus.
"Weil diese genetisch veränderten Mäuse keine anderen Verhaltensauffälligkeiten zeigen, glauben wir, dass das Tiermodell auf ideale Weise für die Autismus-Forschung geeignet ist", erklärt Brose. "In gewisser Weise kopieren unsere Mäuse die Leitsymptome von Autismus beim Menschen. Was die Selektivität der mit Autismus vergleichbaren Verhaltensänderungen angeht, gibt es aus unserer Sicht derzeit kein besseres Tiermodell für Autismus als unsere Mäuse." Ob dieses Tiermodell zur Entwicklung neuer Diagnose- und Therapieverfahren dienen kann, sollen weitere Studien zeigen, erklärt der Forscher abschließend im pressetext-Gespräch.