Potsdam - Ein internationales Forscherteam warnt in der jüngsten Ausgabe des Wissenschaftsmagazins "Proceedings of the National Academy of Sciences" (PNAS) vor den Gefahren, die schon kleine Veränderungen auf das gesamte Klima der Erde haben. Menschliche Aktivitäten könnten das globale Klimasystem über kritische Grenzen hinaus beeinflussen, sodass wichtige Prozesse im Gesamtgefüge "kippen" und von da an grundsätzlich anders ablaufen. An der Studie haben unter anderem auch Forscher des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung http://www.pik-potsdam.de mitgearbeitet.
"Projektionen von Klimamodellen könnten die Gesellschaft in einem falschen Gefühl von Sicherheit wiegen", so der Studienautor Timothy Lenton von der britischen University of East Anglia in Norwich. Der globale Wandel erscheine für menschliche Maßstäbe langsam und graduell. Die Forscher weisen jedoch daraufhin, dass in bestimmten Regionen der Erde der menschliche Einfluss aufs Klimasystem jedoch sprunghafte und teilweise unumkehrbare Entwicklungen anstoßen kann. Diese Phänomene nennen die Forscher Kippelemente. Neun solche potenziellen Kippelemente konnten die insgesamt 88 Forscher auf der Erde ausmachen. Diese sollten bei der Fortentwicklung der internationalen Klimapolitik besonders berücksichtigt werden.
"Von den beschriebenen Kippelementen haben der Grönländische Eisschild, das arktische Meereis und die Thermohaline Atlantikzirkulation (THZ) das größte Potenzial für direkte Auswirkungen auf Europa", so Studienautor Stefan Rahmstorf vom PIK-Potsdam gegenüber pressetext. "Einige Modelle zeigen, dass abrupte Veränderungen der THZ zu einer regionalen Abkühlung in Europa führen könnten." Die weit verbreitete Vorstellung einer "neuen Eiszeit" sei jedoch falsch. Die globale Erwärmung würde wahrscheinlich zumindest für ein bis zwei Jahrhunderte überwiegen, sodass sie durch den reduzierten Wärmetransport im Ozean nur etwas geringer ausfiele. Europa würde sich nicht gegenüber dem heutigen Klima abkühlen. "Die Folgen wären aber dennoch dramatisch, denn eine abrupte Veränderung der Strömungen würde zu einem zusätzlichen Anstieg des Meeresspiegels im Nordatlantik und tiefgreifenden Störungen der Lebensräume und Artengemeinschaften im Meer führen."
Wie der Artikel zeigt, schätzen die meisten Experten das Risiko größer ein, dass der Kipppunkt des Grönländischen Eisschilds überschritten wird. Mindestens ebenso hoch wird in dem Artikel das Risiko für den Kipppunkt beim arktischen Meereis eingeschätzt, wobei sich diese Aussage auf die relevante Literatur und Computermodelle stützt. "Das Abschmelzen des Grönländischen Eisschildes hätte global einen Anstieg des Meeresspiegels um bis zu sieben Meter zur Folge", meint Biosphären-Experte Wolfgang Lucht, Mitautor der Studie, gegenüber pressetext. Der Schwund des arktischen Meereises würde das Ökosystem des Nordpolarmeeres grundlegend verändern und sich wahrscheinlich auch auf die atmosphärische Zirkulation auswirken, sodass in Europa veränderte Wetterlagen und Extremereignisse eintreten könnten, ergänzt Rahmstorf. Das Abschmelzen sowohl des Grönländischen Eisschildes als auch des arktischen Meereises würde den Süßwassereintrag in den Nordatlantik beträchtlich erhöhen, was die Atlantikzirkulation (THZ) abschwächen würde.
"Dies ist die erste systematische Analyse der Kippelemente-Problematik. Wir haben einen mathematischen Formalismus eingeführt und die gesamte relevante wissenschaftliche Literatur ausgewertet, sodass wir nun über eine klare Definition für Kippelemente verfügen", erklärt Studienautor Hans Joachim Schellnhuber. "Davon ausgehend haben wir Kippelemente im Klimasystem der Erde identifiziert, die für die Klimapolitik von besonderer Bedeutung sind." Man könne diesen Artikel als einen Mini-IPCC-Bericht über Kippelemente betrachten, so der Forscher. Es gehe nicht darum, mit dem Bericht Angst zu machen, meint Lucht. "Wir wollen nur darauf hinweisen, dass man nach jetziger Kenntnis eben nicht ausschließen kann, dass es zu diesen Szenarien kommen kann."