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Antibiotikum als Pestizid gegen Feuerbrand


Jahr für Jahr wird in Österreich das Antibiotikum Streptomycin zur Bekämpfung von Feuerbrand im Erwerbsobstbau zugelassen.

Streptomycin ist ein Antibiotikum aus der Humanmedizin. Feuerbrand ist eine Pflanzenkrankeit, die in Europa epidemisch auftritt und von Bakterien verursacht wird. Betroffen sind in erster Linie Kernobstgewächse wie Apfel, Birne, Quitte, Eberesche, Weißdorn, Mispel u. a. Diese sind im Erwerbsobstbau, im Haus- und Ziergarten sowie natürlich in Hecken und Wäldern anzutreffen.

Warum Streptomycin im Obstbau nichts verloren hat

1. Das Antibiotikum Streptomycin ist durch EU-Recht und österreichisches Recht verboten

Mit 31. 03. 2004 verlor das Antibiotikum Streptomycin im Rahmen der Pflanzenschutzmittelbewertung durch die EU europaweit seine Zulassung. Im selben Monat hat Landwirtschaftsminister Pröll gemäß § 17 des Pflanzenschutzmittelgesetzes (PMG 1997) ein österreichweites Verbot des Antibiotikum verordnet. Doch sowohl die betreffende EU-Richtlinie als auch das PMG 1997 lassen ein Schlupfloch offen, wodurch auch verbotene Wirkstoffe wieder zugelassen werden können, nämlich durch eine Zulassung unter dem Titel „Gefahr im Verzug“. Jahr für Jahr nutzt Landwirtschaftsminister Pröll dieses Schlupfloch um Streptomycin, das er im Jahr 2004 noch auf die Verbotsliste setzte, zur Anwendung frei zu geben.

2. Wissenschaftlicher Lenkungsausschuss der EU-Kommission und WHO empfehlen dringend den Verzicht auf Antibiotika in der Landwirtschaft

In der Verordnung 1490/2002 der EU-Kommission wird mit Hinweis auf Antibiotikaresistenz der Verzicht auf Streptomycin als Pflanzenschutzmittel dringend gefordert. Für die Behandlung von Infektionskrankheiten ist die Verfügbarkeit von wirksamen Antibiotika unbedingt notwendig. Die rasche Zunahme von Krankheitserregern mit mehrfachen Antibiotikaresistenzen stellt die Humanmedizin vor große Probleme. Der Verzicht auf Antibiotika im außermedizinischen Bereich wäre ein wichtiger Schritt dieser Entwicklung entgegenzusteuern.

3. Die Wirksamkeit von Streptomycin ist umstritten

Die Hoffnung, durch Streptomycin vor einer weiteren Ausbreitung des Feuerbrands geschützt zu sein, könnte sich als trügerisch erweisen. Von PflanzenschutzexpertInnen durchgeführte Feldversuche, in denen die Schutzwirkung des Antibiotikums gegen den Feuerbrand untersucht wurde, erbrachten sehr unterschiedliche Ergebnisse. In den jährlichen Berichten über die Feuerbrandsituation des deutschen Bundesministeriums für Verbraucherschutz , Ernährung und Landwirtschaft sind Wirkungsgrade von Streptomycin zwischen 51 % (2004) und 85 % (2006) publiziert. Eine Versuchsreihe der österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) konnte bei dem Antibiotikum gar nur eine 27 %ige Schutzwirkung feststellen. Die Wirksamkeit von Streptomycin beschränkt sich auf die Verhinderung von Infektionen über die Blüte! Es ist nicht möglich die Krankheit zu stoppen bzw. zu heilen.

In den USA gibt es es Gebiete in denen bereits resistente Stämme des Feuerbrandbakteriums auftreten. In diesen Gebieten ist kein Birnenanbau mehr möglich.

4. Südtirol, Europas größtes Kernobstbaugebiet verzichtet im Kampf gegen den Feuerbrand auf Antibiotika.

Südtirol ist mit 180.000 Hektar Obstbaufläche Europas größter Kernobstproduzent. Nirgendwo stellt der Feuerbrand hinsichtlich des möglichen wirtschaftlichen Schadens und des denkbaren Verlustes an Arbeitsplätzen eine größere Bedrohung dar. Als in den 90er Jahren Feuerbrand in Italien erstmals auftrat, war die Versuchung dementsprechend groß, eine Zulassung von Streptomycin zu beantragen. Die zwei wichtigsten Gründe, weshalb gegen das Antibiotikum entschieden wurde, waren laut dem damaligen Direktor des Südtiroler Beratungsrings seine mangelhafte Wirksamkeit („Ein Pflanzenschutzmittel mit einer Wirksamkeit von nur 80 % nützt mir nichts“) und die mit der Anwendung von Antibiotika verbundene Gefahr eines Imageverlustes für die Marke „Obst aus Südtirol“. Für die meisten Wirts- und Überträgerpflanzen des Feuerbranderregers gilt in Südtirol Rodungspflicht bzw. ein Auspflanzverbot. Im Erwerbsobstbau wird auf rasche Erkennung und konsequente Eliminierung von Feuerbrandherden gesetzt. Zusätzlich wird der Einsatz von Kupfer zur Zeit der Blüte empfohlen. Größere Verluste durch Feuerbrand in den Erwerbsobstbauanlagen konnten mit dieser Strategie bis heute verhindert werden.

Südtirol verzichtet im Kampf gegen den Feuerbrand auf Antibiotika und setzt umso mehr auf schnelle Erkennung und konsequente Rodung von Infektionsherden. Sie geht aber noch einen Schritt weiter. Denn die Rodungsmaßnahmen werden finanziell abgegolten. Die finanzielle Entschädigung von Feuerbrandopfern ist bundesweit einheitlich geregelt.

5. Streptomycin im Honig macht den ImkerInnen große Probleme

Zu den indirekten Opfern des Feuerbrands zählen die Imker. Streptomycin entfaltet seine protektive Wirkung gegen den Feuerbranderreger in der Blüte. Von dort ist der Weg in den Honig nicht weit. Allein der Nachweis von Antibiotika im Honig bedeutet für die ImkerInnen einen katastrophalen Imageschaden. Ist auch noch der gesetzliche Höchstwertwert überschritten, verstößt ein Verkauf des Honigs sogar gegen das Lebensmittelgesetz. 2003 wurde in Baden Württemberg in jeder fünften untersuchten Honigprobe Streptomycin gefunden. Jede zweite davon war über dem gesetzlichen Höchstwert mit Streptomycin belastet. Zudem bietet der gesetzliche Höchstwert keine Sicherheit, kann doch schon die Aufnahme von geringen Mengen eines Antibiotikums zu Bakterienresistenzen führen.

Der Landwirtschaftsminister ist verantwortlich

Die Zulassung von Streptomycin erfolgte formal durch die BAES. Die Verantwortung für die Zulassung liegt allerdings bei Landwirtschaftsminister Pröll. Streptomycin war zuletzt 2001 für kurze Zeit zugelassen. Aufgrund von mit Streptomycin kontaminiertem Honig in Deutschland wurde diese Zulassung zurückgezogen, noch bevor eine Anwendung stattfinden konnte. In den Jahren 2002 bis 2004 wurde trotz massiven Drängens der Vorarlberger Landwirtschaftskammer keine Zulassung mehr erteilt. Im Jahr 2004 verlor Streptomycin im Rahmen der EU-weiten Neubewertung von Pflanzenschutzmittel seine Zulassung. Landwirtschaftsminister Pröll setzte den Wirkstoff im März 2004 gemäß §17 des Pflanzenschutzmittelgesetzes auf die Liste der verbotenen Wirkstoffe. In den folgenden Jahren führten der Druck der Vorarlberger Landwirtschaft und das Schlupfloch der § 13 Zulassung bei Gefahr in Verzug zu wiederholten Zulassungen von Streptomycin.

Forderungen von GLOBAL 2000

  • Gesetzlich festgelegte Entschädigungsregelung für Feuerbrandopfer
  • Bundeseinheitliche Gesetze über Rodungspflicht und Auspflanzverbote
  • Verstärkte Feuerbrandschulungen
  • Fortsetzung und Intensivierung der Forschung durch die AGES
  • Förderung von Alternativen
  • Genereller Verzicht auf Antibiotika im Pflanzenschutz

 

Quelle: Global 2000, erschienen am 12.5.2008
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