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Umwelt/Gesundheit/Bildung/Forschung | Überregional
Bio-Kraftstoffe: Raubbau unter Klimaschutz-Deckmantel

Forscher fordern umfassendere, objektive Analyse der Biotreibstoffthematik


Hohenheim/Würzburg - Experten der Gesellschaft für Tropenökologie (gtö) http://www.gtoe.de sehen im Ausbau der Agro-Kraftstoff-Pflanzungen einen Raubbau an der Natur. In großem Tempo würden derzeit die noch verbliebenen natürlichen tropischen Lebensräume in Nutzflächen umgewandelt, um den enormen Flächenbedarf für Agro-Kraftstoffe zu schaffen, stellt die Gesellschaft zum Abschluss ihrer fünftägigen Tagung an der Universität Hohenheim fest. In einer Resolution haben 200 Wissenschaftler aus aller Welt an Bundesregierung, EU und weitere am Klimaschutz beteiligten Organisationen appelliert, sich für eine umfassendere, objektive Analyse der Agrotreibstoffthematik einzusetzen. Die Forscher fordern, nur die Entwicklung von solchen Konzepten zu fördern, bei denen kein weiterer Raubbau an den natürlichen Ökosystemen der Tropen stattfindet, die für die gesamte Erde lebenswichtige Leistungen erbringen.

"Das ist ein Raubbau unter dem Deckmantel des Klimaschutzes, der vor allem wirtschaftlichen Interessen dient, ohne dass die Folgen für das Weltklima, die Nahrungsmittelversorgung, die Gesundheit und die sozio-ökonomischen Folgen für die betroffene Bevölkerung angemessen bilanziert werden", meint gtö-Präsident Karl Eduard Linsenmair im pressetext-Interview. Die in der EU geforderte Beimengung von zehn Prozent Agrotreibstoffen bezeichnet der Forscher, der Professor für Tierökologie und Tropenbiologie am Biozentrum der Universität Würzburg http://www.zoo3.biozentrum.uni-wuerzburg.de ist, als hellen Wahnsinn. "Am schlimmsten sind die Auswirkungen in den Tropen. Aus massiven ökonomischen Interessen heraus kommt es zu einem überstürzten Handeln, bei dem die Anbaugebiete für Bio-Kraftstoffe massiv und ohne Abschätzung der Folgen ausgeweitet werden", kritisiert der Forscher. "Felder von Kleinbauern werden rasant aufgekauft, um große zusammenhängende Plantagen zu schaffen. Diese verlieren dann ihre Lebensbasis. Teilweise können sie noch auf qualitativ schlechtere Böden ausweichen, wo sie aber wegen der minderen Qualität größere Flächen roden müssen, um die Nahrungsmittelproduktion zu halten." Damit werde aber der Druck auf die restlichen Flächen weiter erhöht.

Auch über die angeblich positive Ökobilanz der Agrotreibstoffe wundert sich Linsenmair. Es gebe nur ganz wenige Fälle, in denen es eine vernünftige Ökobilanz gebe. Das sei bei der Bioethanol-Herstellung aus Zuckerrohr unter gewissen Voraussetzungen möglich. Den Klimaschutz hält Linsenmair deshalb meist für ein vorgeschobenes Argument. "Hier geht es primär ums Geld, nachdem die Energiepreise und der Energiebedarf so weit gestiegen sind, dass jetzt die Bio-Kraftstoffe sehr attraktiv werden." Zudem sieht der Experte eine steigende Konkurrenz der Agrotreibstoffe mit der Lebensmittelproduktion.

Linsenmair betont auch die Bedeutung der immer noch weitgehend unerforschten Tropen für die Zukunft der Pharmazie. Pharmazeutisch seien die Tropen ein gigantisches Reservoir noch ungenutzter Wirkstoffe, deren Wert derzeit von pharmazeutischen Forschern wiederentdeckt würde. "Die Forscher sehen große Potenziale, z.B. in der Entwicklung neuer Antibiotika aus Hautgiften tropischer Frösche oder Antigerinnungsmittel aus dem Speichel von Vampirfledermäusen, um nur zwei von vielen weiteren Nutzungsmöglichkeiten anzuführen", so der Wissenschaftler. Der jährliche Handelswert traditioneller Arzneimittel liege bei 80 Mrd. Dollar. Weltweit hingen 80 Prozent der Menschheit von solcher Naturmedizin ab. Es könne nicht sein, dass die wertvollsten Böden in den Tropen dazu verwendet würden, um Treibstoffpflanzen anzubauen, nur um kurzfristig ein gutes Geschäft damit zu machen, so der Forscher abschließend im pressetext-Gespräch.

"Die Grundidee der Bio-Kraftstoffe, die man richtiger als Agro-Kraftstoffe bezeichnen sollte, ist nicht schlecht", kommentiert Mitveranstalter Wolfgang Küppers, Professor für Botanik an der Universität Hohenheim http://www.uni-hohenheim.de . Es gebe auch vielversprechende Beispiele für den angepassten Anbau von Energiepflanzen. Ein Beispiel dafür sei etwa Biodiesel aus Jatropha-Pflanzen, die auf ausgelaugter Erde wachsen und dabei wieder fruchtbare Böden aufbauen.

 

Quelle: Pressetext Austria, erschienen am 11.6.2008
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