Berlin/Sofia - Fehlentwicklungen im Tourismus sind sonst vielfach aus Entwicklungsländern bekannt geworden. Die bulgarische Projektkoordinatorin Donka Kalcheva vom BlueLink Network http://www.bluelink.net/en berichtet nun aber von völlig außer Kontrolle geratener Fremdenverkehrspolitik in ihrem eigenen Land: Statt Arbeitsplätze und regionaler Entwicklung bringen Megaprojekte von ausländischen Investoren Naturzerstörung und Betonburgen mit sich. Viele Urlaubsgebiete sind bereits heute so verbaut, dass Reiseunternehmen sie aus dem Katalog gestrichen haben. Dabei gilt Bulgarien als Land großer Naturschönheiten und außerordentlicher biologischer Vielfalt.
Schutzgebiete machen in Bulgarien nur etwa fünf Prozent der Landesfläche aus. Damit liegt das südosteuropäische Land weit unter dem EU-Durchschnitt von zwölf Prozent. So gehört der Strandzha-Nationalpark im Südosten des Landes zu den fünf wertvollsten Naturgebieten in Mittel- und Osteuropa. Zudem gibt es zwei als Protected Area Network Parks ausgewiesene Schutzgebiete - Rila und Zentralbalkan - sowie der Pirin-Nationalpark, der zum UNESCO-Weltnaturerbe erhoben wurde. Bisher galten vor allem die Hochgebirge Rila und Pirin in Südwestbulgarien als noch relativ unberührt. Nun sind auch diese Gebiete durch massive Bebauung, Abholzung, Verschmutzung und andere schädliche menschliche Einwirkungen bedroht.
Kalcheva kritisiert, dass hinter den Versprechungen die Rede von lokalem Wohlstand, regionaler Entwicklung und Beschäftigung stecken. Pläne für ein neues Skigebiet missachten etwa die Grenzen des Rila-Nationalparks, zu den anhaltenden Gesetzesverstößen im Skigebiet von Bansko im Pirin-Gebirge kommen Pläne für neue Wintersportgebiete innerhalb der Nationalparkgrenzen. Das "Super-Perelik"-Projekt sieht den illegalen Ausbau eines gigantischen Skitourismuszentrums im Strandzha-Nationalpark vor. "Der Fall in Strandzha lenkte die Aufmerksamkeit der Medien auch auf die illegale exzessive Bebauung der bulgarischen Schwarzmeerküste", berichtet Kalcheva. "Dreiste Gesetzesverstöße spielen sich dort in aller Öffentlichkeit ab, aber der Staat schützt die Belange der Investoren." Als Gipfel an Dreistigkeit wertet die Umweltschützerin den Spruch eines Gerichts, wonach die Nationalparks illegal errichtet worden seien.
Prognosen zufolge werde es in fünf Jahren keinen Ort mehr geben, der von der "Betoninvasion" an der Küste verschont geblieben ist. Ökobilanzen sind zwar vorgeschrieben, doch in den vergangenen zwei Jahren habe es nicht eine einzige negative Umweltverträglichkeitsprüfung für ein Investmentprojekt gegeben. Hinzu komme noch, dass die Zahl der aus- und inländischen Besucher abnehme. Zusätzliche Probleme gab es auch mit der Planung der bulgarischen Natura-2000-Gebiete. Insgesamt vier Mal musste die ursprüngliche Fassung überarbeitet werden, ehe sie von der EU mit einem Jahr Verspätung anerkannt wurde. "Wie erwartet, blieben einige wichtige Naturgebiete ungeschützt", kritisiert Kalcheva. "Alle sind Teil von Bauprojekten, etwa die Pufferzonen im Rila-Nationalpark sowie die Küstengebiete in Irkali und Kaliakra." Für die Aktivisten hat die Verspätung auch Kalkül: In der Zwischenzeit wurde der Status der meisten geschützten Gebiete geändert, sodass sie praktischerweise als Baugebiete erschlossen werden konnten. Auch landwirtschaftliche Flächen wurden von dem Naturschutznetzwerk ausgenommen und zu Bauflächen umgewidmet.
"Die besorgniserregenden Berichte aus Bulgarien zeigen deutlich, was passiert, wenn Tourismusentwicklung mit einseitiger Infrastrukturentwicklung gleichgesetzt wird", so Karin Chladek, Pressesprecherin vom Institut für integrativen Tourismus, respect http://www.respect.at , gegenüber pressetext. "Gerade eine Region mit so grandiosen Natur- und Kulturlandschaften wie Osteuropa hätte alle Chancen, ihre ländlichen Regionen durch Tourismus zu stärken." Solche Gebiete zuzubetonieren, sei nicht nur aus Naturschutzsicht ein Skandal, sondern eine Vernichtung von volkswirtschaftlichen Chancen. "Politiker, die so etwas zulassen - egal in welchem Staat - schaden der Zukunft ihres Landes." Es sei wichtig, dass die EU dies deutlich mache. Doch leider mahlen die Brüsseler Mühlen sehr langsam. "Es braucht daher viel mehr Unterstützung für Umweltaktivisten und Initiativen für eine nachhaltige Tourismusentwicklung vor Ort", meint Chladek abschließend.