Würzburg - Inwieweit die Legasthenie
(Schreib- und Leseschwäche) vom Zusammenspiel der Gene und der visuellen
und sprachlichen Informationsabläufe im Gehirn abhängig ist, wollen
Wissenschaftler der Universitäten Würzburg http://www.uni-wuerzburg.de ,
Bonn http://www.uni-bonn.de und Marburg http://www.uni-marburg.de in
einer Studie herausfinden. "Damit wird erstmals der Versuch unternommen,
die Symptome der Legasthenie nicht nur auf der Verhaltensebene zu
untersuchen", erläutert Dr. Andreas Warnke von der Würzburger
Universität. "Auch die durch eine psychische Störung hervorgerufenen
Besonderheiten der Informationsabläufe im Gehirn sollen aufgeschlüsselt
werden und ihre möglichen genetischen Ursachen preisgeben."
Molekulargenetische Studien haben wiederholt gezeigt, dass auf den
Chromosomen 1 und 2 sowie 6 und 15 Gene liegen, die die Entwicklung jener
Hirnfunktionen mitbestimmen, die dem Menschen das Erlernen des Lesens und
Schreibens mit den Buchstaben des Alphabets ermöglichen. Etwa 40 Prozent
der Geschwister und 40 Prozent der Eltern von Legasthenikern leiden
ebenfalls unter Lese-Rechtschreibstörungen. Eineiige Zwillinge sind in
hohem Prozentsatz gemeinsam betroffen, zweieiige Zwillinge seltener.
Die Entstehung der Legasthenie wird bisher auf Störungen der sprachlichen
und visuellen Informationsverarbeitung im Gehirn zurückgeführt. Bei der
sprachlichen Informationsverarbeitung spielt die so genannte
phonologische Bewusstheit eine entscheidende Rolle. Sie befähigt den
Menschen, Sprachlaute in Schriftsprache wahrzunehmen und beispielsweise
zu erkennen, dass im Wort "Sonne" die Laute S, O, N und E vorkommen, dass
sich die Worte Maus und Haus reimen oder dass die Worte Maus und Mond
jeweils mit einem M beginnen.
Die phonologische Bewusstheit ist auch dann erforderlich, wenn die
akustisch erlernte mündliche Sprache in die Buchstabenfolge eines Wortes
"übersetzt" werden soll (Diktat). Diese phonologische Bewusstheit soll
nun bei Schülern mit Legasthenie mit Hilfe von so genannten
psychometrischen und neurophysiologischen Verfahren sehr genau gemessen
werden. Die Wissenschaftler können so auch die visuelle
Informationsverarbeitung ermitteln, etwa die Wahrnehmung von Mustern
unterschiedlicher Kontraststärke oder von Bewegungen.
Vier von 100 Kindern sind trotz normaler oder überdurchschnittlicher
Intelligenz nicht in der Lage, das Lesen und Schreiben ausreichend zu
erlernen. Die Störung entsteht unabhängig von körperlicher, psychischer
und neurologischer Gesundheit und kann auch durch gute familiäre und
schulische Förderung nicht ausgeglichen werden. Die schulische und
berufliche Laufbahn der Betroffenen wird schwerwiegend beeinträchtigt:
Tägliche Misserfolge trotz aller Lernbemühungen führen bei den Kindern
rasch zu Lernunlust, zu Schul- und Versagensängsten. Vereinzelt sind
Depressionen und soziale Auffälligkeiten zu beobachten. Die Studie wird
mit 1,2 Mio. Mark von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG)
gefördert.