Arbeiterausbeutung: Öffentliche Hand mitschuldig
Experten: "Einkäufe von Behörden oft nicht sozial nachhaltig"
Fairer Kaffee und Saft: Öffentlicher Einkauf bestimmt Arbeitsrechte anderswo mit (Foto: Fairtrade)
Wien - Die öffentliche Hand besitzt in Europa mit einem Anteil von 17 Prozent des BIP eine enorme Kaufkraft. Trotz Etablierung der "Corporate Social Responsability" achten öffentliche Einkäufe und Ausschreibungen noch kaum darauf, woher Produkte wie etwa Arbeitsbekleidung von Behörden oder Nahrungsmittel in Schulen, Heimen und Spitälern stammen. Darauf macht die entwicklungspolitische NGO Südwind in der Initiative SO:FAIR http://www.fairebeschaffung.at aufmerksam. Sie fordert Gemeinden und Regierungen dazu auf, sich ihrer Verantwortung für die Durchsetzung international anerkannter Arbeitsstandards bewusst zu werden.
Uniformen beuten Menschen aus
Die Experten kritisieren, dass bei öffentlichen Einkäufen die Transparenz fehlt, von wem und unter welchen Bedingungen die jeweiligen Produkte erzeugt wurden. "Hinter vielen Artikeln steckt Arbeitsausbeutung", mahnt Albert Sales von der spanischen NGO SETEM. Er untersuchte den Produktkreislauf der Uniformen der Stadt Barcelona und weiterer spanischer Kommunen, wobei der Grossteil in Marokko produziert wurde. Vor Ort in der marokkanischen Stadt Tanger konnte er zahlreiche Verletzungen der Arbeitsrechte dokumentieren.
"Jede vierte Näherin in Tanger hat keinen Vertrag, drei von vier verdienen weniger als die 0,90 Euro Mindestlohn pro Stunde und mehr als die Hälfte haben keine Gesundheitsvorsorge", berichtet Sales. Viele Zulieferer von Markenfirmen betreiben illegale Werkstätten, in denen die Situation noch erschreckender ist. "Das Beispiel beschränkt sich nicht auf spanische Städte, sondern betrifft ganz Europa", so der Experte gegenüber pressetext. Proteste von Textilarbeitern in Bangladesh haben zuletzt auch auf dieses Thema aufmerksam gemacht (pressetext berichtete: http://www.pressetext.com/news/101103029/ ).
Trend zu fairen Gemeinden und Städten
Ein Umdenken ist jedoch im Gange. Eine wachsende Anzahl von Städten und Gemeinden in Europa zeigt vor, wie sozial verantwortlicher Einkauf gehen kann. So gelang es etwa 40 der 53 Städte des Ruhrgebietes, im Rahmen der europäischen Kulturhauptstadt 2010 bei ihren Einkäufen auf ausbeuterische Kinderarbeit zu verzichten. "Die Ausschreibungen erlaubten nur Bieter, die dieses Kriterium erfüllen. Konnten Medien oder NGOs Gegenteiliges beweisen, flogen sie hinaus", berichtet Christoph Löchle vom Netzwerk faire Kulturhauptstadt Ruhr 2010. Die Aktion fand hohen Zuspruch und die Städte motivierten sich gegenseitig zur Teilnahme.
Ähnlich entschied sich die Stadt Rom, Schulkantinen nur mehr mit Fairtrade-Bananen zu beliefern. Rom und 840 weitere Städte - darunter London, Brüssel, San Francisco sowie jüngst auch Graz und Bonn - führen "Fairtrade" gleichsam als Titel, ebenso auch Bezirke und Gemeinden. Die weltweit ersten Fairtrade-Staaten sind Wales und Schottland. "Die Vorbildwirkung der öffentlichen Hand ist enorm, besonders wenn die Maßnahme transparent kommuniziert wird. Das gilt für die Bürger, jedoch auch für die Zulieferer, die sich bei entsprechenden Klauseln oft erstmals mit der Herkunft ihrer Produkte zu beschäftigen haben", so Löchle auf pressetext-Anfrage.
Lebensmittel, Bekleidung, Steine und Elektronik betroffen
Sozial verträgliche Produkte sind laut Ansicht der Experten nicht automatisch teurer. Für Erzeuger, die derartige Kriterien erfüllen, bedeuten Aufträge von öffentlichen Stellen stabile Abnahme und Planung sowie bessere Logistik. In Folge sinkt auch für Privatkonsumenten der Preis der Produkte. Die Rechtssicherheit der öffentlichen Hand für derartige Entscheidungen soll durch Richtlinien gestärkt werden, die die EU im Dezember präsentieren wird.
Trotz einzelnen Erfolgen bleibt noch viel zu tun. "Während es bei Nahrungsmitteln wie Bananen und Kaffee Fortschritte gibt, stehen wir bei Bekleidung, jedoch auch bei Pflastersteinen oder in der Elektronik noch ganz am Anfang", erklärt Elisabeth Schinzel, Südwind-Verantwortliche für die Initiative SO:FAIR.
Quelle: Pressetext Austria, erschienen am 8.1.2011
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