Boston - Mit Netzen, die tiefer gehen als 1,5
Kilometer und 60 Tonnen Fisch in nur 20 Minuten aus den Tiefen der Meere
holen, rückt die Fischerei-Industrie den noch letzten lebenden Fischen an
den Leib. Forscher befürchten, dass viele Arten ausgerottet werden, die
kaum noch erforscht sind. Und Tiefsee-Riffe, die 5.000 Jahre für die
Entstehung gebraucht haben, werden in wenigen Minuten zerstört. Das
berichten Wissenschaftler beim Treffen der AAAS http://www.aaas.org , das
derzeit in Boston stattfindet.
"Nachdem die Fischerei in den flachen Gewässern fast überall am Rande des
Abgrunds schwebt, greifen die neuen, noch schnelleren Fangflotten in die
unbekannten Tiefen der Weltmeere", so Callum Roberts, Ozean-Ökologe der
HarvardUniversity. "40 Prozent aller Fischereigründe befinden sich
bereits in der Tiefsee, tiefer als der Kontinentalschelf", so der
Wissenschaftler. "Die neuen Technologien sind so effektiv, dass sie nicht
nur ernten, sondern im wahrsten Sinn des Wortes abbauen."
"Die neuen Fischereiflotten sind schneller, größer und sie können in
Gewässern fischen, die vor hundert Jahren noch zu gefährlich gewesen
wären", so die Fischerei-Expertin Yvonne Sadovy von der Universität
Hongkong. Zunehmende Nachfrage ließe die Fisch-Trawler auch in die
entlegensten Gebiete unseres Planeten reisen. Biologen warnen jedoch
davor, die Tiefsee ebenso auszubeuten wie die flachen Schelfgebiete,
denn, so befürchten Experten, die Tiefseefische würden extrem langsam
nachwachsen. Der Granatbarsch (Hoplosthetus atlanticus), ein häufig auf
den Speisekarten von Luxusrestaurants angebotener Fisch, der in Tiefen
zwischen 750 und 1.200 Metern lebt, vermehrt sich erst ab einem Alter von
20 Jahren. Extensive Tiefsee-Fischerei vor den Küsten Neuseelands und
Australiens haben die Fische in den Gewässern in den vergangenen zehn
Jahren um 80 Prozent reduziert. Das gleiche gelte auch für den
Nordatlantik.
"Was Jahrtausende zum Wachsen gebraucht hat, ist mit einem Schlag
zerstört", so Callum Roberts. Es werde Jahrhunderte brauchen, um sich
davon zu erholen. Die Wissenschaftler sind besonders besorgt darüber,
dass alle zwei Wochen neue Spezies in der Tiefsee entdeckt werden, die
bisher unbekannt waren. "Das gilt insbesondere für die hydrothermalen
unterseeischen Öffnungen, wo riesige Würmer und Garnelen in absoluter
Finsternis leben", so der Forscher. "Da die Erforschung der Tiefsee erst
vor rund 25 Jahren begonnen hat, müssen die Lebensräume vor der
Ausbeutung geschützt werden", so Cyndy Van Dover. Die Schaffung von
internationalen Unterwasser-Schutzgebieten, wo Fischerei unter allen
Umständen verboten werden soll, sei ein dringendes Anliegen. "Ohne marine
Schutzgebiete werden die Ozeane nämlich bald recht leer sein", meint
Roberts.