Die Mütter der Aids-Waisen

Zu Besuch bei den St. Agnes-Schwestern in Kiyogawale, Tansania
Text und Bildquellen: Michael Link
BEZIRK: Mit einem mittleren Monatseinkommen von 20 Euro und einer Analphabetenrate von 24% zählt Tansania zu den ärmsten Ländern der Welt. Ohne Schulbildung ist der Weg aus der Armut praktisch unmöglich. Viele Kinder sind jedoch Aids-Waisen und müssen sich um ihre jüngeren Geschwister kümmern. Doch in Ruvuma ganz im Süden des Landes gibt es für manche Kinder Hoffnung, dank gemeinsamer Projekte von Friedrich „Waki“ Walterskirchen und den Benediktinerinnen, den „Müttern“ der Aids-Waisen.
Adelina rührt im Kochtopf um. Heute gibt es Ugali – Maisbrei. Wie gestern. Und vorgestern. Wie an jedem Tag. Besorgt blickt Adelina in den kleinen, halbleeren Kopftopf. Wird es heute ausreichen, ihre Familie zu versorgen?
Ihre Familie, das sind sie und ihre beiden kleinen Geschwister, Gisberth und Cyprian. Adelina selbst ist erst zehn. Ihre Eltern sind vor zwei Jahren gestorben. An Aids. So wie viele andere Menschen in Mkwera, einem kleinen Dorf im Süden Tansanias. Seither muss sich Adelina um ihre beiden Brüder kümmern. Bis zur nächsten Regenzeit ist es noch eine lange Zeit, vier Monate, vielleicht fünf. Wenn bis dahin der Regen gänzlich ausbleibt, droht eine Dürre. Und die nächste Hungersnot.
Zahlreiche Aids-Waisen
Mit großen, traurigen Augen sehen uns die Kinder nach, als wir wieder weiter gehen müssen. Adelina, Gisberth und Cyprian sind allerdings nicht die einzigen Aids-Waisen in dem Dorf unweit des Dreiländerecks Tansania, Malawi und Mosambique. Jeder fünfte Tansanier ist HIV-infiziert. Nur noch 48 Jahre beträgt die durchschnittliche Lebenserwartung der Tansanier. Kaum jemand in dem ostafrikanischen Land kann sich die teuren, virenhemmenden Medikamente leisten. So bricht die Krankheit oft schnell aus. Unermesslich ist das Leid für die Betroffenen und die Angehörigen, bis der Tod eintritt. Viele Menschen sterben an Aids und hinterlassen ihre Kinder, die kaum versorgt sind. Diese sind dann auf sich allein gestellt. Die älteren Kinder kümmern sich um die jüngeren Brüder und Schwestern.
Hilfe von Schwester Lwanga
Und Schwester Lwanga. Einmal in der Woche kommt sie nach Mkwera. Die Benediktinerschwester sieht nach den Waisenkindern, manche von ihnen sind noch Babys. Schwester Lwanga versorgt die Dorfbewohner mit notwendigen Medikamenten und veranlasst die medizinische Betreuung, wenn irgendwo die tödliche Immunschwächekrankheit Aids wieder einmal ausbricht. Das ist oft der Fall.
Diesmal durfte ich sie begleiten. Nach einigen weiteren Besuchen bei den Familien in Mkwere fahren wir mit den Fahrrädern zurück nach Kiyogawale, wo ich im Haus „St. Friedrich“ wohne. Schwester Lwanga ist Provinzialin von Kiyogawale. Der Ort ist eine kleine Station der Benediktinerinnen von St. Agnes, einem Kloster im wenige Kilometer entfernten Chipole.
„St. Friedrich“ ist jedoch nicht nur ein Wohn- und Gästehaus, sondern dient auch als Schulgebäude. Das Haus der Benediktinerinnen wurde im Vorjahr dank Spenden aus Österreich wie v.a. der Fastenaktion der Diözese St. Pölten fertig gebaut und zu Ehren Ing. Friedrich Walterskirchen benannt, dem Gründer der „Tanzania-Aktion“.

Der Fluss Ruvuma, nach dem die südlichste Region Tansanias benannt ist.
Sungura – Ein Hasenprojekt für Aids-Waisen
Viele Entwicklungshilfeprojekte konnten mittels der Tanzania-Aktion, die der 76jährige Pottensteiner in den frühen Sechziger Jahren gegründet hat, schon verwirklicht werden. Ein erfolgreiches Projekt der letzten Jahre ist “Sungura”, eine Initiative für die Waisenkinder (Sungura = swahili: Hase, Anm.). 120 Hasenpaare für Kinder, deren Eltern an Aids verstorben sind, hat Friedrich Walterskirchen bereits organisiert. Die Kinder kümmern sich um die Hasen und züchten sie. Dadurch erhalten sie nicht nur eine spannende und verantwortungsvolle Aufgabe, sondern auch eine Unterstützung, einen Weg aus der bitteren Armut zu finden. Die Kinder müssen sich selbst um die Tiere sorgen und können sie dann verkaufen. Mittlerweile hat sich der Bestand der Hasen auf 700 erhöht.
Einige der Hasen werden auch im Bauernhof von Kiyogawale gezüchtet. Neben der Schule für arme Landmädchen und dem Bauernhof befinden sich auch eine kleine Kirche, eine Krankenstation und eine Bananenplantage in Kiyogawale.
Mädchenschule ohne Strom
Dank der Schule soll den Jugendlichen, viele von ihnen Waisenkinder aus den Dörfern der Region, eine menschenwürdige Zukunft und die Chance auf einen Weg aus der Armut ermöglicht werden. Die Klassenräume werden allerdings wegen des fehlenden Stromanschlusses derzeit nicht benutzt. Die Spendengelder haben für die Elektrifizierung von St. Friedrich noch nicht ausgereicht. Unterdessen werden die Mädchen im alten Wirtschaftsgebäude unterrichtet, wo sich auch ihre Schlafräume befinden. Abends geben nur Petroleumlampen den Schwestern ein wenig Licht. Schwester Lwanga hofft, dass im “Waki-Haus” spätestens nächstes Jahr Stromanschluss vorhanden sein wird.
Hoffnungsvolle Zukunft
Das bereitet Schwester Lwanga Sorgen. Vor dem Schlafengehen sitze ich mit ihr noch auf dem Balkon des “Waki-Hauses”, und wir besprechen unsere Pläne für den nächsten Tag, den Tag vor meiner Abreise. Längst ist die Schönheit der Region Ruvuma im Dunkel der Nacht verschwunden. Doch nicht minder beeindruckend sind die Südsternbilder vor der weiß leuchtenden Milchstraße. Die Frage drängt sich in mir auf, warum unter diesem wunderbaren Himmel, ja an einem atemberaubend schönen Stück Erde so viele Menschen leiden müssen.
Doch dann vertreibt das fröhliche Lachen einiger Schülerinnen aus dem Hof meine betrüblichen Gedanken. Ein Lachen, das wie ein Willkommensruf an den nächsten Tag klingt, den Beginn einer hoffnungsvollen Zukunft. Wie sehr wünsche ich mir, auch Adelina und ihre beiden Geschwister so lebensfroh lachen zu hören. Vielleicht werde ich sie hören, irgendwann, wenn ich wieder bei den Menschen in Ruvuma sein darf.
Spendenkonto: Raiffeisenbank Krems; BLZ: 32397; Konto-Nr.: 39.180 als Text kann "Tanzania" oder "SUNGURA" angegeben werden.

Quelle: Michael Link, erschienen am 17.11.2009
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