Treffen wandernder deutscher Handwerksgesellen
Steinmetze, Zimmerleute, Maurer-, Schmiede- und Malergesellen arbeiten zwei Wochen lang für den Erhalt der Burgruine Falkenstein in Hofkirchen i.M.
Auch ORF-Moderator Franz Gumpenberger stattete den Handwerksgesellen auf der Walz in Hofkirchen i.M. bereits seinen Antrittsbesuch ab.
Foto: Gemeinde Hofkirchen
Schon seit dem Vorjahr sind im Großraum zwischen Passau und Linz häufig wandernde deutsche Handwerksgesellen anzutreffen. Der Zufall inszenierte im vergangenen Herbst ein Zusammentreffen dreier deutscher Steinmetze auf der Walz mit dem Hofkirchner Bürgermeister Martin Raab. Bei einer gemeinsamen Jause wurden freundschaftliche Bande geknüpft, weitere Kontakte waren die Folge.
Im Frühling 2011 besuchte der wandernde Steinmetzgeselle Andreas aus Regensburg den Steinmetzmeister Ludwig Bauer im Granitzentrum Bayerischer Wald in Hauzenberg. Er fragte nach einer Projektmöglichkeit für das anstehende Jahrestreffen 2011 Deutscher Handwerksgesellen auf der Walz. Ludwig Bauer und einige erfahrene Gesellen hatten schon Anfang August Quartier in Hofkirchen i.M. genommen und organisierten seither emsig das Jahrestreffen 2011. Das ehemalige Gasthaus Mayrhofer am Hofkirchner Marktplatz dient den jungen Burschen seither als ideales Quartier.
Bis zur ersten Septemberwoche wird im historischen Markt an der Donauschlinge Schlögen mit dem Eintreffen von bis zu 30 Handwerksgesellen auf der Walz gerechnet. Zwei Wochen lang werden die hoch qualifizierten Handwerker ihr Können zum Erhalt der Burgruine Falkenstein einsetzen. Dieses Projekt wird von der Europäischen Union, der EUREGIO Bayerischer Wald/Böhmerwald, dem Freistaat Bayern und dem Land Oberösterreich finanziell gefördert. Ziel dieses Förderprojektes ist die gemeinsame Arbeit von deutschen und österreichischen Handwerkern zum Erhalt der Burgruine Falkenstein, der gemeinsame Austausch von Arbeits- und Lebenserfahrungen sowie das gemeinsame Kennenlernen in geselliger Form.
In Absprache mit Architekt Robert Wacha vom Bundesdenkmalamt Oberösterreich wurden wichtige und zugleich sehr heikle Arbeiten vereinbart, die von den erfahrenen deutschen Handwerkern in Zusammenarbeit mit heimischen Kollegen der Region um Hofkirchen i.M. ausgeführt werden. Gearbeitet wird vorwiegend an der Sicherung der Mauer des inneren Burgtores und am Pallas Gemäuer, dem noch am besten erhaltenen und dem größten früheren Hauptwohnraum der historischen Burganlage Falkenstein. Wesentliche Vorarbeiten wurden von den Steinmetzen Andreas, Christian und Felix, vom Zimmermannsgesellen Erik, dem Schmied Jeremias und einigen weiteren Burschen schon in den vergangenen Wochen erledigt. Dem Einsatz der schlagkräftigen Kollegentruppe steht nun nichts mehr im Wege. Größtes Augenmerk wird dabei selbstverständlich auf die Sicherheit aller Aktiven gelegt, um jede denkbare Gefährdung der jungen Gesellen zu vermeiden.
Die wandernden Steinmetze interessieren sich neben dem Bauökologen Alfred Ruhdorfer und Mitarbeiter Manuel Scheibelberger besonders für den Falkensteiner Kalkbrandofen, der vom letzten Flusskalksteinbrenner Alois Vösenhuber aus Steyr den letzten Feinschliff verpasst bekommt.
Interessierte einheimische Handwerker sind herzlichst eingeladen, ihre wandernden Gesellen in Hofkirchen i.M. zu besuchen oder kurz mitzuarbeiten
Die deutschen Handwerksgesellen auf der Walz freuen sich bei ihrem Arbeitseinsatz auf die Zusammenarbeit mit möglichst vielen heimischen Handwerkern aus Oberösterreich und Bayern. Lebens- und Handwerkserfahrungen sollen dabei ausgetauscht werden. Alle interessierten Handwerker sind herzlichst eingeladen, bis Freitag, 16. September bei den Arbeiten in der Burgruine Falkenstein tageweise oder länger mitzuwirken. Auch die Geselligkeit kommt dabei nicht zu kurz.
Kontaktadresse:
Bgm. Martin Raab, Mobiltelefon: 0664 4249109, Mail: martin.raab@hofkirchen.at
Wandernde Handwerksgesellen auf der Walz – was es über sie zu sagen gibt:
Freisprechung – Fremdgeschriebene oder Fremde - Schächte
Die Wanderjahre, auch als Walz, Tippelei (wird meist als Beleidigung betrachtet) oder Gesellenwanderung bezeichnet, beziehen sich auf die Wanderschaft zünftiger Gesellen. Sie umfassen die Zeit des Wanderns der Gesellen nach dem Abschluss ihrer Lehrzeit („Freisprechung“). Die Wanderschaft war seit dem Spätmittelalter bis zur beginnenden Industrialisierung eine der Voraussetzungen für den Gesellen, die Prüfung zum Meister zu beginnen. Die Gesellen sollten vor allem neue Arbeitspraktiken, Lebenserfahrung und fremde Orte, Regionen und Länder kennenlernen. Ein Handwerker, der sich auf dieser traditionellen Wanderschaft befindet, wird als Fremdgeschriebener oder Fremder bezeichnet.
verschieden färbige Kluften und Hutformen sind äußeres Zeichen der Handwerksgesellen
Um 1980 wuchs nach dem jahrzehntelangen Abflauen der Wandertradition wiederum das Bewusstsein für die historischen Gebräuche, gleichzeitig aber auch die Emanzipation der Frauen und der Geist der „alternativen“ Lebensweise. Es wurden zwei neue „Schächte“ gegründet, deren Strukturen stark von den „alten“ Traditionsschächten abwichen und die auch Frauen aufnahmen. Nach der Wiedervereinigung nutzten auch viele ostdeutsche Gesellen wieder die Möglichkeit, auf die Walz zu gehen. Hat man sich dafür entschieden, so sind drei Jahre und ein Tag Wanderschaft als Minimum bei Schächten wie „die Rechtschaffenen Fremden“, „Rolandsbrüder“, „Fremden Freiheitsschacht“ oder dem „Freien Begegnungsschacht“ vorgeschrieben. Im Jahr 2005 waren zwischen 600 und 800 Gesellen entweder freireisend oder in Schächten organisiert, „fremdgeschrieben“. Der Anteil der Frauen liegt insgesamt bei etwa 10 Prozent. 2010 zählte man in Deutschland noch etwas mehr als 450 Tippelbrüder, weltweit sollen es etwa 10.000 sein.
Brauchtum und Regeln
Um als Fremdgeschriebener die Welt bereisen zu können, müssen einige Bedingungen erfüllt sein. Auf die Wanderschaft darf heute nur gehen, wer die Gesellenprüfung bestanden hat, ledig, kinderlos und schuldenfrei ist. Die meisten Schächte haben eine Altersbegrenzung. Die Tippelei (wird meist als Beleidigung betrachtet) war und ist teilweise an schwierige Bedingungen geknüpft. So darf der Fremdgeschriebene in seiner Reisezeit einen Bannkreis von meist 50 km um seinen Heimatort nicht betreten, auch nicht im Winter oder zu Feiertagen. Er darf kein eigenes Fahrzeug besitzen und bewegt sich nur zu Fuß oder per Anhalter fort. Öffentliche Verkehrsmittel sind nicht verboten, aber verpönt. Das Mitführen von Mobiltelefonen ist nicht gestattet.
Weiterhin muss er in der Öffentlichkeit immer seine Kluft tragen. Da Fremde oftmals auf die Unterstützung der Bevölkerung angewiesen sind (zum Beispiel bei der Suche nach Arbeit oder einem Schlafplatz), hat dieser sich immer ehrbar und zünftig zu verhalten, so dass der Nächste ebenfalls gern gesehen ist. Eine gepflegte Erscheinung erleichtert die Kontaktaufnahme und das Trampen.
Vom Ohrring zum Schlitzohr - Stenz, Hut und Kluft als auffälligste äußere Erkennungsmerkmale
All sein Hab und Gut verstaut der wandernde Geselle in einem Charlottenburger oder Charlie. Die von den Wandergesellen getragenen Ohrringe waren in der Zeit der Zünfte noch kein Gruppenkennzeichen von Gesellen oder bestimmten Berufsgruppen. Im Notfall konnten durch Verkauf auch finanzielle Engpässe, zum Beispiel bei vorübergehender Arbeitslosigkeit, überbrückt werden. Hatte sich ein Geselle unehrenhaft verhalten, wurde dieser zum Schlitzohr gemacht: der Ohrring wurde ihm ausgerissen.
Auffällig ist sein Stenz (gewellter Wanderstab) und vor allem die Bekleidung: ein schwarzer Hut mit breiter Krempe, Zylinder, Dreispitz o. ä. und eine Kluft mit weiten Schlaghosen, Weste und Jackett, die farblich der Tradition seines Berufsstandes entspricht.
Ein hoher Prozentsatz der Fremden sind Zimmerleute und Steinmetze. Aber auch Gesellen anderer Handwerksberufe wie zum Beispiel Tischler, Maurer, Dachdecker, Betonbauer, Bootsbauer, Töpfer, Schmiede, Spengler, Steinmetze, Holzbildhauer, Buchbinder, Schneider, Goldschmiede, Instrumentenbauer, Kirchenmaler und viele mehr gehen noch immer auf die Wanderschaft.
Wanderbuch zum Sammeln der Siegel besuchter Ortschaften
Im mitgeführten Wanderbuch sammelt der Wandergeselle die Städtesiegel der von ihm besuchten Ortschaften, nachdem er bei deren Bürgermeistern „zünftig um das Siegel vorgesprochen“ hat. Die Wanderschaft darf nur aufgrund wirklich zwingender Gründe und dann im Einvernehmen mit dem zuständigen Schacht abgebrochen werden, etwa bei einer schweren Krankheit. Andernfalls wäre eine Unterbrechung „unehrbar“, das Wanderbuch würde eingezogen und die Kluft „an den Nagel gehängt“. Wandergesellen, die ihre Wanderschaft „unehrbar“ beenden, werden als „Harzgänger“ bezeichnet. Nach einer Reisezeit von, je nach Schacht, zwei bzw. drei Jahren und einem Tag kann man sich einheimisch melden, sofern man wieder schuldenfrei ist. Diese Einheimischmeldung wird oftmals groß gefeiert, wobei viele frühere Reisekameraden auch weite Anreisen in Kauf nehmen, um dabei zu sein.
Quelle: Martin Raab, Bgm., erschienen am 6.9.2011
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